Das kurze Leben

des

ROBIKUS
bis zur Verschmelzung mit Unsereinem

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Ein Wort vorweg

 


Liebe Leserinnen, liebe Leser,


Irgendwann einmal schreckte ich aus dem Schlaf und sah das vor mir, welches ich schnell in Stichpunkten aufschrieb. Ich wusste gleich, dass ich es am Morgen wieder vergessen hätte. Aber dazu kam es nun nicht mehr.
Ich hatte den Grund für so manche Ungeschicktheit, so manche Verfehlung oder so manche Reaktion in bestimmten Situationen meines späteren Lebens gefunden!
Denn es war nicht ich verantwortlich für das merkwürdige Tun! Das war er – der unsichtbare, düstere, auserwählte Spitzbube, um durch meine Person Mitmenschen mit Späßen und Streichen zu ärgern.
So schwarz wie das Universum, so schwarz wie die Nacht, so schwarz wie mancherlei Gedanken. So schwarz wie die Seele des Geschöpfs, welches zu Beginn seines Lebens in meinen kindlichen Leib schlüpfte, gab den Ausschlag für das bereits 2013 erschiene Buch „Späße, Streiche, Katastrophen“.
Wie dieses ernstzunehmende Wesen aus der Dunkelheit des Erdmittelpunktes entstand, erfahrt Ihr in den nachfolgenden Episoden. Ihm zu entgehen war für Untereinen damals unmöglich und war der Grund, dass er von mir Besitz ergreifen konnte.

Ich wünsche Euch gute Unterhaltung und viel Spaß beim Lesen auf den nachfolgenden Seiten.


Roland PöschelTrollenhagen, 20. juli 2022

Eine Legende wird, war

 

Vor vielen, vielen, Jahren – so wurde durch alte Menschenwesen berichtet, befand sich irgendwo auf dieser Welt weit unter der Erde ein großes Gewölbe, das eingerahmt von monumentalen Säulen gehalten in einer Kuppel, aus geschlagen silbrig blau schimmernden Granit endete.
Es lag am Rande eines brodelnden rot gelb glühenden Lavastroms. Natürlich war es dadurch sehr heiß in dieser prunkvollen Halle aus Stein.
Kristalle in verschiedensten schillernden Farben vereint, in brillanten Formen entstanden, schmückten Wände sowie bizarre weitreichende Flächen. Wie bunte Blumen auf einer grünen Wiese gleich, präsentierten sich diese Kristalle und hoben sich hervor unter diesem ansonsten mit schwarzgrauem glitzerndem Staub bedeckten erhabenen Gewölbe.

Etwas abseits der Granitgrotte gelegen gab es einen über dem Lavastrom unscheinbaren Felsvorsprung, eher einem zerklüfteten brüchigen Altar ähnlich. Auf diesem befand sich ein, aus langen dunkelblauen Edelsteinen zusammengefügtes, Nest.
Schaute man hinein, lagen auf dem Boden sieben uralte versteinerte Eier. Recht stattlich waren sie anzusehen, umschlossen von einer dicken, pickligen, rotorange schimmernden, grünlich marmorierten Eischale.

Woher sie kamen, wer sie hier abgelegt hatte, weiß auch bis heute niemand zu sagen. Es gab die Vermutung, dass sie aus den Weiten des Universums durch fremde Wesen vor einer kaum zu beschreibenden langen Zeit zu uns gelangt sind.

Der Legende nach jedoch sollte alle zehntausend Jahre ein Wesen aus diesem unbekannten Ort hervorgehen. Es ist aus-erwählt sich auf der Erde mit einer armen Menschenseele zu verbinden, um mal gute oder weniger gute Dinge zu tun. Es wird jedoch immer begleitet von Muttererde und den Sternen am Himmel darüber.
Der Zeitpunkt war also gekommen, um nun die Geschichte beginnen zu lassen oder sie neu zu schreiben?

Heda! Ihr Schlafmützen! Wer von euch möchte als Nächstes sein Leben beginnen und auf große Reise gehen, um sich mit einem Menschen zu vereinen?“ sprach Muttererde zu den im Nest liegenden Eiern. Aber kein Ei bewegte sich. Alle waren still.
Das aber gefiel Muttererde überhaupt nicht und so schüttelte und rüttelte sie an den Wänden der von Säulen getragenen Grotte. Größere Gesteinsbrocken und reichlich kleinere Steinchen vielen herab. Lautes Getöse und dumpfes Grollen aus der Tiefe war zu hören. Die Luft war erfüllt von Staub.
Da, plötzlich, bewegte sich ein Ei. Vorsichtig wackelte es, als wollte es sagen.


„Hier, hier bin ich und möchte das nächste Ei sein, um die Erde zu besuchen, um mit einem Menschen vereint zu sein.“
Das gefiel natürlich Muttererde und so sprach sie zum Ei. „Nun gut, mein zu-künftiger kleiner Sohn. Ich werde aus dir ein wunderschönes Wesen erschaffen, welches du schon immer sein wolltest. Ein Wesen aus Feuer und Stein. Mit Klugheit versehen und allerlei Kräften ausgerüstet, entsende ich dich dann an die Oberfläche meiner Erdenwelt.“
Ein dumpfes Grollen war wiederum zu hören verbunden mit zeitgleichem rütteln an den Wänden der Grotte beendete die Auswahl des unbekannten Geschöpfes! Übergangslos zischte und fauchte es aus allen Nischen und Ritzen des Gesteins und steigerte sich in ohrenbetäubenden Krawall, um die nächste Etappe einer Erschaffung einzuleiten!

Ein Wesen wird geboren

 

Spritzer und Fontänen aus flüssiger Lava des vorbei fließenden Stroms schwappten träge abwechselnd unter knistern und fauchen in die Höhe.
Weitere Blitze, plötzlich von allen Seiten, durchzuckten die Höhle und ließen nun die zuvor dunkelblauen Kristalle des Nestes in einem leuchtenden hellen grün erstrahlen. Der durch das herabfallende Geröll aufgewirbelte Staub verdunkelte wie eine Nebelwand das Licht des Lavastroms und die leuchtenden Blitze. Aus dem Unsichtbaren heraus war schallendes Gelächter und gleich darauf die Worte von Muttererde zu vernehmen.

„Höre, Auserwählter! Es ist so weit!
Mach dich bereit!“
Und im selben Augenblick durchzuckte die Luft ein langer kräftig niedersausender hellblau weis schimmernder Blitz.

Er teilte sich noch bevor er den Boden berührte. Der kleinere Blitz brachte das im Voraus bestimmte, soeben getroffene Ei im Nest in einem gelben Farbton zum Leuchten. Der zweite, größere Blitz, traf den vorbei fließenden Lavastrom. Aus ihm heraus reckte sich eine gewaltige Lavafontäne in die Höhe, aus der ein Fünkchen Lava hervorsprang.
Dieses kleine Stück rot glühender Masse flog zischend durch die Luft und fand seinen Platz auf dem leuchtenden Ei, um sich sogleich durch die dicke Schale zu schmelzen.

Plötzlich aber entschwand das Leuchten aus dem Ei. Schabende und kratzende Geräusche verhallten jäh leise in der großen Halle aus Granit. Letzte kleine Blitze durchzuckten das Dunkel des Gewölbes. Nachdem das widerhallende Echo vom Fauchen der Blitze verklungen war, trat wieder eintönige Ruhe in den großen Granitraum ein.

Nur noch leises gurgeln und glucksen des vorbei fließenden Lavastroms unter-brach die Stille. Ringsherum sah alles wieder genauso aus wie vor dem Höllensturm. Noch aus der Ferne, tief unten in der Erde, war immer noch das leise schwächer werdende Grollen zu hören. Der Spuk hatte sein Ende gefunden.
Als alles wieder einsam und still geworden war, fing das auserwählte Ei an, sich vorsichtig zu bewegen. Nun leuchtete es in einem unverhofft gelborangen Farbton auf.
Es wackelte hin und her und schüttelte sich immer kräftiger. Der gelborange Farbton verblasste aber zusehends immer mehr und kehrte zur früheren Eifarbe wieder zurück.

Nur kurze Zeit später zeichneten sich erste Risse in der Schale ab und zeigten damit an, dass etwas bald aus dem Ei schlüpfen möchte. Jetzt konnte man leises schaben und knacken hören.
Es wurde immer lauter und lauter und – Rums, flog ein Stückchen der steinernen Eischale aus dem Nest. Nur kurz war etwas zu sehen. Es schimmerte tief schwarz. Aber was war es nur?
Und dann machte es wieder – Rums! Ein weiteres Stück der harten Eischale flog durch die Luft. Nur dieses Mal erkannte man es etwas genauer! Unglaublich! War es ein Bein, wie bei einem Menschen, was sich außerhalb der Eischale geradewegs in die Höhe streckte?

Die Zeit war zu kurz, um Details zu er-kennen. Prompt verschwand das schwarze Etwas wieder dahin, woher es gekommen war. Einen Augenblick später vernahm man aus dem Ei eine rauchig ächzende, sich quälende Stimme.
„Gleich! Gleich habe ich es geschafft! Gleich ist es so weit!“
Abrupt zersprang die Eischale in viele Einzelteile unter lautem Krachen und zischelnd entweichendem weißen Qualm. Wiederum trat Stille in der großen Halle ein.

Der Dunst hatte sich langsam verzogen. Ein dunkles Geschöpf kauerte auf dem Boden des Nestes. Nur wenige Augenblicke später richte es sich langsam auf.

Und da stand es nun, das schwarz pelzig kurzhaarige Ding mit zwei Beinen. Diese waren wohlgeformt und endeten in, mit dichten Haarbüscheln leicht überwucherten menschlichen Füßen. An diesem männlichen muskulösen Körper, mit den starken Schultern und einem straffen Bauch, besaß es zwei kräftige Arme und große Hände mit langen Fingern, die ebenfalls mit buschigen Haaren überdeckt waren und seitlich herunter hingen.
Auf dem Hals saß ein, mit zwei kleinen etwas außen liegenden Hörnern auf der Stirn sowie jeweils seitlich, mit dicht bewachsenen Haaren spitz zulaufenden Ohren und mit einer fast undurchdringbaren Einheit bildend zauseligen Frisur bestückter Kopf.

Mitten im frechen Gesicht konnte man eine kleine runzlige hervorstehende Schweinchennase entdecken, die sich leicht nach oben reckte.
Unter buschigen Augenbrauen versteckten sich kastanienbraune Augen mit einem schelmischen Ausdruck, als wollte es sagen – dich kriege ich auch noch!
Abwärts des kleinen Schmollmundes mit seinen schmal gehaltenen Lippen verjüngte sich das Gesicht durch ein hervor-stehendes Kinn, welches in einem fransigen Bart endete.
Aber nanu? Was ist denn das? Erst jetzt bekam man an ihm noch etwas anderes zu sehen. Wippend zappelte das dichte Haarbüschelende seines hinten langen dicken angewachsenen, nur spärlich mit Haaren bewachsenen Schwanzes auf und ab. Um die Lenden herum schwang sich ein aus weichem höllischem Material gefertigter Schurz.

Lustig war es anzusehen, dieses kleine Geschöpf, mit stattlicher Größe von einem Meter und vierundsiebzig Zentimetern, erschaffen von Muttererde.

Jetzt war alles klar!

Es gab ihn also doch!

Es, heißt Robikus

 

So stand „Es“ also sicher und aufrecht, mit leicht gespreizten Beinen da. Beide Arme mit Händen zu Fäusten geballt und tief in der Hüfte vergraben, rief es laut Muttererde zu.

„Muttererde, da bin ich! Ich bin es, dein Sohn aus Feuer und Stein. Du hast mich geschaffen, was soll ich für dich tun?“ Die letzten Worte hallten noch durch die glamouröse Kathedrale aus Granit und schon antwortete Muttererde.
„Mein Sohn! Geh auf die Erde und übernehme den dortigen Neuankömmling Mensch. Werdet zusammen eins! Hecke für ihn Schabernack und Blödsinn aus. Das ist mein Wunsch! So soll es sein!“
Ihre Stimme senkte sich und hielt für eine kurze Pause inne. Dann sprach sie weiter.
„Begebe dich nach Europa des Jahres neunzehnhundert, achtundfünfzig in die Deutsche Demokratische Republik. Am achtzehnten Tag im März wird ein kleiner Schelm namens Roland aus der Familie Pöschel in der vorpommerschen Kleinstadt Altentreptow geboren. Bringe ihn auf den reinen Pfad des Übermuts ohne schlechtes Gewissen! Das ist dein Auftrag! Und nun geh, mein Sohn!“

Das kleine Teufelchen hatte alles verstanden. Aber etwas musste es Muttererde noch fragen.
„Wie soll man mich rufen? Wie heiße ich? Wie ist mein Name?“ fragte es in die Grotte hinein und zog dabei die Augenbrauen hoch in die Stirn.
„Hm, du hast recht. Das hätten wir bei-nahe vergessen!“ antwortete Muttererde. Sie überlegte nicht lange und rief ihrem gerade entstandenen Sohn liebevoll zu.
„Du bekommst deinen Namen von dem Ort, an dem du erschaffen wurdest und zum ersten Mal das Tageslicht der Welt erblicken wirst! Von dort, wo dein zu Hause ist. Als Robikus dos Capelinhos[01] sollst du die Erde betreten. Ja. So sollst du ab heute heißen!“
Freudiges Lachen von Muttererde, zurückgeworfen von den Wänden der Granithalle, begleitete die Schöpfung des neuen Namens. Nachdem das dumpfe Grollen sich langsam entfernt hatte, sprach Mutter Erde weiter zu ihrem Sohn.
„Aber nun gehe zu den Menschen und erfülle deinen Auftrag! Beeile dich! Denn nur noch wenige Zeit verbleibt und der kleine Roland aus Altentreptow erblickt das Licht der Welt. Folge dem Lavafluss! An seinem Ende wirst du einen irdischen Fahrstuhl finden, der dich schnell an die Oberfläche der Erde bringen wird!“ waren die vorerst letzten hilfreichen Worte von Muttererde.

[01] Capelinhos = Der Vulcão dos Capelinhos ist ein Vulkan, in der Literatur auch bezeichnet als „Geheimnisvulkan“, auf der Azoreninsel Faial. Der Name leitet sich von Capelo + -inhos ab und bedeutet „Kleines Capelo“. Capelo ist eine Gemeinde im Bezirk von Horta auf Faial. Durch eine Serie von seismischen Aktivitäten begann sich am 16. September 1957 auf der Azoreninsel Faial ein drohender Vulkanausbruch abzuzeichnen. Der Ausbruch erfolgte schließlich am 27. September 1957, etwa 1 km vor der Westspitze der Insel, auf offener See. Die neu entstandene Vulkaninsel vereinigte sich am 12. November 1957 mit der Hauptinsel Faial, die Aktivität des Vulkans endete am 24. Oktober 1958. Die rund 2,4 km² große, durch den Vulkanausbruch entstandene Halbinsel wurde Ponta dos Capelinhos getauft. (Quelle: Wikipedia/CC-by-sa-3.0)

Daher abgeleitet, verbunden mit diesen Ereignissen, entstand der Name unseres kleinen Helden-Teufelchens „Robikus dos Capelinhos“ dessen Geburt also auf den 17. März 1958 datiert werden kann. Damit ist das sagenumwobene, im Verborgenen gelegene, bis dato unerklärliche Geheimnis um den Vulkan gelüftet.

Die Reise auf dem Magmafluss

 


Gesagt, getan. Robikus packte mit seinen kräftigen Armen einen neben dem Nest liegenden großen Steinbrocken und warf ihn in den Lavafluss. Geschickt sprang er hinterher und balancierte auf ihm, während der Stein seinen Weg auf dem Lavafluss nahm.

Gluckernde Geräusche umgaben den Reisenden als er in einem Tunnel verschwand. Wasser verdampfte zischend aus der Wand. Es quietschte schrill hier und pfiff entsetzlich dort. Es roch nach Schwefel und anderen rauchigen Gasen.
Endlos erschien Robikus dieser Fluss aus Lava. Die Hitze wurde immer unerträglicher. Aber unserem düsteren Unhold machte dies nichts aus. Er war ja aus robikussen härterem Material erschaffen, als welches, was ihn umgab.

Plötzlich aber wurde die Fahrt schneller und dann noch schneller. Einmal links herum, dann gleich darauf rechts herum, unter einem Felsvorsprung hindurch.
Über einer Felskante ergoss sich eine große Welle Lava. Steil ging es hinunter. Rings um Robikus brodelte, gluckst und quietschte es durcheinander. Noch im Herabfallen sprang kraftvoll der schwarze Geselle von seinem steinigen Gefährt herunter.
Geschickt landete er auf einem breiten, schichtenweise übereinander gepressten flachen Gesteinsblock, der aus einem Nebenarm des Lavastroms herangetrieben worden war.

Eher schleppend kam er auf den schwankenden Wellen des nun vor ihm liegenden feurigen Sees aus Magma voran. Staunend betrachtete er die neue übergroße Felsenhalle, die sich ihm offenbarte.
Durch eine unsichtbare Kraft geführt, bewegte sich die Platte aus Stein geradewegs auf eine vernebelte große halbrunde Öffnung am anderen Ende dieser mächtigen Höhle zu. Schmatzendes Geplätscher vermischt mit schlürfendem Geheule begleiteten den Weg.

Aus vielen seitlichen Spalten und Ritzen ergoss sich immer mehr Lava in den großen See. Davon angetrieben schob sich auch das Steinfloss Fahrt aufnehmend voran, auf dem Robikus entschlossen stand. Bald war der natürliche Ausgang erreicht. Merkwürdig nur, dass scheinbar der Eingang zum Ausgang rasch kleiner wurde.

Wind kam urplötzlich auf, der im Sog die Steinplatte nebst Mitfahrer erfasste und noch zügiger auf die große dunstige Öffnung zu treiben ließ. Stetig wurde das Getöse lauter und lauter. Wasser spritze indessen zunehmend aus der Decke der Steinhöhle, welches beim Auftreffen auf die Lava zischend verdampfte und damit den weißen Dunst entstehen ließ.
Robikus bemerkte auf einem Mal, dass er der Gewölbedecke immer näher kam. Oder stieg der Magmasee etwa an? Zunehmend wurde die Fahrt nun schneller und schneller. Robikus bewegte sich samt seinem Gesteinsuntergrund im rasanten Tempo auf die in der Zwischenzeit immer größer gewordenen Magmawellen und den zischenden und quietschenden Winden bis an die Schwelle des immer kleiner werdenden Ausgangs aus dieser riesigen Höhle heran.

Mit einem Ruck wurde der gesamte Verband in das Innere eines unsichtbaren Schlotes hinein gesogen. Fauchend ging die Reise auf der Lava nach oben. Ohrenbetäubender Lärm rundete den rasanten Aufstieg ab. Robikus schaute nach oben. Ein kleiner runder heller Punkt war zu sehen, der allmählich größer wurde.
„Was verbirgt sich wohl hinter diesem hellen Schein?“ War seine erste Frage während der zügigen Fahrt ins erste Abenteuer.

Robikus entdeckt die Welt

 


Mit schaben, kratzen, zischen, gurgeln und heulen ging es stetig weiter nach oben. Der helle Punkt wurde größer und größer. Der Fußboden aus Stein ruckte und zuckte unter Robikus menschlichen Füßen.
Überhängende Steinschichten wurden durch die Steinplatte abgeschlagen und ihre Bruchstücke wie wild durch die Luft geschleudert. Unter diesem Geknalle und Rumore gepaart mit dem Fauchen des Aufstiegs fühlte sich unser kleines Teufelchen wohl. Hier war er zu Hause.
Robikus wurde mehrmals von Steinen getroffen. Jedoch war er ja, wie bereits bekannt, aus härterem Material als dieses Geröll und lies daher das Gestein an seinem Körper unter knackenden Geräuschen bersten. Mit einem Lächeln auf den Lippen kam er mit Getöse dem Ausgang dieses Schlotes immer näher. Plötzlich vernahm er die Stimme von Muttererde.
Robikus, mein Sohn! Du näherst dich jetzt dem Ausgang meines Erdkerns und betrittst die Oberfläche der Erde auf dem Tiere, Pflanzen und Menschen leben. Vergiss deine Gabe zu fliegen nicht! Mache dich unsichtbar und begebe dich in Richtung Osten, um deinen Auftrag zu erfüllen!“

Noch hallte die Stimme von Mutter Erde in dieser rauen Umgebung mit ihrem Echo durcheinander. Nur kurz darauf wurde das Zischen und Fauchen noch lauter. Wieder wehte der Wind und steigerte sich in noch heftiger werdendes Sturmgetöse.
Nun war auch der helle Punkt am Ende des Schlotes zur kleinen hellen Scheibe herangewachsen. Blauer Himmel war zu erkennen, durchzogen von weißen Wölkchen. Mit einem letzten Stoßseufzer von Muttererde wurde Robikus im Zauber von Wasserdampf, Rauch, Feuer und Stein in die Luft über dem Erdboden empor geschleudert. Mit so einem Naturschauspiel auf dieser Welt begrüßt zu werden, damit hatte Robikus nicht gerechnet.
Der Rat von Mutter Erde, das Fliegen nicht zu vergessen, war natürlich unter diesen Umständen äußerst hilfreich.
So also legte sich Robikus bäuchlings in den Wind und probierte einige Flugübungen aus. Inzwischen ging es voran in die Richtung, die ihm kurz zuvor von Muttererde aufgetragen worden war.

Weit unter ihm überquerte er seine Heimatinsel Faial am Rand der Azoren gelegen. Schnell überflog Robikus das weite große Gischt schäumende Wasser des Atlantiks.
Bemerkte unter sich Ländereien mit Seen und Flüssen. In ihrer Nähe gab es Wälder, vielerlei Hügel, die stolz anwuchsen bis hin zu schneebedeckten Gipfeln von Gebirgen.
Robikus überflog Dörfer und Städte, in denen viele Menschen lebten. In einem dieser Orte stand ein prächtiges, hohes, spitz zulaufendes Gebilde aus Stahl. Schnell aber hatte er dieses Zeugnis menschlicher Baukunst hinter sich gelassen.
Weiter ging seine Reise ins immer kälter werdende ungewisse. Augenblicke später konnte er unter sich Ebenen entdecken, die mit Gras bedeckt waren, auf denen hier und da noch etwas Schnee lag.

Robikus kam seinem Ziel immer näher. Von weitem konnte er die Kirchturmspitze von St. Petri in der Stadt Altentreptow erkennen.
Am Nachmittag des siebzehnten Tags im März hatte Robikus also seinen kalten Zielort erreicht. Nur noch wenige Stunden trennten ihn davon, seinen Auftrag von Muttererde, in die Tat umzusetzen. Es gab also keinen Anlass zur Eile.

Robikus und Unsereiner werden eins!

 


Nach einer kurzen Atempause kletterte Robikus vom Turm der St. Petri Kirche in Altentreptow herunter und musste nur noch den Ort des Geschehens in dieser Stadt in Erfahrung bringen. Dass man ihn bei der Suche bemerken würde, davor brauchte er keine Angst zu haben, denn er war ja unsichtbar. Sein schwarzer Pelz war so dicht, dass er bei einer herrschenden Temperatur um die null Grad Celsius auch nicht fror.

Er rieb sich die Hände und begab sich sogleich auf den Weg. Hier und da belauschte er Gespräche von einheimischen Menschen. Vielleicht hatte er Glück und man führte ihn sogar dorthin, wo bald der kleine Bengel geboren werden sollte?

Die Nacht brach herein, um kurz darauf den achtzehnten Tag im März des Jahres 1958 zu begrüßen. Robikus schlich weiter um die Häuser. Erst in diese, dann in eine andere Richtung.
So betrat er vom Marktplatz aus die Bahnhofstraße, in der sich, oberhalb am Berg gelegen, das Kreiskrankenhaus von Altentreptow befand. Robikus kam genau zum richtigen Zeitpunkt.

Zwei Krankenschwestern unterhielten sich gerade über den Zustand und das Befinden der in den Wehen liegenden Frau Pöschel. Man hatte sie auf die Geburtenstation, einem langen Backsteingebäude am Ende der Ernst-Moritz-Arndt-Straße, Ecke Fichtestraße, hin verlegt.
„Nun aber schnell! Sonst komme ich noch zu spät zu diesem Ereignis!“, waren die Gedanken von Robikus. Als unser schwarzer Geselle dort endlich ankam, hörte er schon von weitem das Gebrüll von dem Wicht, der in den Armen von Mutter Pöschel lag.

„Na also! Wie entzückend! Endlich geschafft!“ rief er der Mutter zu. Nur konnte sie ihn nicht hören. Denn nur über Telepathie war es möglich, Kontakt zu ihr herzustellen. Der Bösewicht gab sich große Mühe, seine Gedanken in den Kopf von Mutter Pöschel zu bekommen.

Und so stand er da, die Knie zusammen gepresst, der Körper halb zusammen gesunken, beide Hände den Kopf festhaltend um zu drücken, dass jetzt endlich wohlwollende Gedanken hervorsprießen.
Auf einmal gab es den ersehnten Erfolg des Tüchtigen! Mit weit aufgerissenen Augen empfing die frisch gebackene Mutter eine erste gedankliche Botschaft über die Bestimmung des kleinen Roland vom schwarz fransigen Geschöpf.
„Ja! Das ist er! Dein kleiner Winzling! Ein Schreihals, von knautschiger Gestalt, unbehaart, keine Zähne im Mund und kann noch nicht einmal laufen! Der ist doch zu nichts nütze? Und den willst du behalten? Gib ihn doch einfach weg! Dann hast du in der Zukunft keinen Ärger. Dann bist du frei und kannst mit deinem Mann andere schöne Dinge tun. Wäre das nicht ein Vorschlag für dich, Mutter Pöschel?
Denke zurück an deine Kindheit und Jugend. Willst du so dein weiteres Leben verbringen, wie du es erfahren hast? Mit Entbehrungen, mit wenig familiären Zusammenhalt und wenig Liebe?“

Robikus steckte sich bei diesen Gedanken den geknickten Zeigefinger der linken Hand in den ebenfalls sich auf derselben Seite befindlichen Mundwinkel. Zog die Augenbrauen nach oben, raufte sich mit der anderen Hand sein zauseliges Kopfhaar und tat so als wäre nichts geschehen, als wäre er ganz teilnahmslos und unschuldig.

Plötzlich jedoch rissen die Gedankenströme abrupt ab. Mutter Pöschel war eingeschlafen. Konnte oder wollte sie die Gedanken des schwarzen Teufels nicht mehr hören. Robikus wurde wütend und stampft mit dem Fuß auf, dass es nur so dröhnte. Aber auch das half nichts, die gestellten Fragen beantwortet zu bekommen. Im Moment war das schier unmöglich.

So musste also Robikus auf eine weitere Gelegenheit warten, um seine Mission erfolgreich durchzuführen. Unter Fluchen wurde er zu Rauch und entwich durch das Schlüsselloch, um auf den Moment einer erneuten Begegnung mit den Auserwählten zu warten.

Tage später nach der Entlassung von Mutter Pöschel, gemeinsam mit ihrer Kleinigkeit im Arm, betraten sie zusammen mit dem Kindesvater das Wohnzimmer ihrer neuen Wohnung in der Demminer Straße. Robikus schlich natürlich hinterher, um nichts zu verpassen.

Ständig musste er Grimassen vor dem hässlichen Balg in seiner Wiege machen, um diesen endlich zum Weinen zu bringen.
„Aber das ist ja wohl die Höhe! Noch so klein und schon so eiskalt und abgebrüht, dass selbst mir ein Schauder über den Rücken läuft!“ rief der schwarze Missetäter erbost mir mitten in das Gesicht hinein.
„Nicht einmal mein nach Schwefel riechender heißer Atem, dazu die entsetzlich verschobenen Gesichtsfratzen verängstigen diesen Sohn der Unschuld! Es ist ja noch schlimmer als ich es mir vorgestellt hatte!“ schimpfte er weiter. Alle Versuche Wasser aus den Augen von Unsereinem zu pressen waren endlich gelungen.

Tobend schrie urplötzlich Robikus. „Nicht zu fassen! Jetzt lacht er auch noch! So eine Frechheit!“ Diesen Anblick musste Robikus erst einmal unter Kontrolle bringen. Das war zu viel für ihn und bedeutete gleichzeitig das Ende meines engelhaften kurzen Lebens.

Nun stand er vorgebeugt über der Wiege, in der ich lag. Wir waren allein. Es war der Zeitpunkt gekommen, an dem Robikus und ungewollt ich ein Ganzes werden sollten. In selben Moment streckt er mir seine Hände entgegen und brubbelte dabei.
„Das wirst du mir büßen! Ich kriege dich! Ich werde dich lehren, mit mir ein Ganzes zu werden, du Menschenkind!“ rief Robikus verärgert in die Wiege und zog erst an meinen Armen, dann an meinem Körper.
Als wir uns berührten, umgab uns ein heller Schein, der unsere Körper erst rauchig, dann immer unsichtbarer werden ließen.
Ich hörte seine immer leiser werdende Stimme weiter sagen. „Freue dich, du Bengel! Gleich ist es vollbracht! Mit meinen Ideen wirst du Unfug treiben und Katastrophen herauf beschwören. Du wirst Gemeinheiten unter die Menschheit bringen und Gelächter verbreiten. Ja, so wird es – so soll es sein!“.

Mit einem letzten Stoßseufzer vom Unhold, unter zischen und fauchen war die Verschmelzung von Robikus und mir vollendet. Alles ringsumher sah darauf so wie immer aus.

 


Ich war nun ich - und ganz allein auf dieser Welt.

Trollenhagen, 20. Juli 2022

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